Für meine Schwester
руWeiß, ach, so weiß ist der Himmel,
schwarz reckt die Birke die Krone.
Straßen- und Gassengewimmel,
wo ich einst Tränen verloren.
In dieser Stadt scharfer Winde
stellt die Beschleunigung Weichen.
Such ich im Staub aber, finde
ich alte Spuren und Zeichen.
Finde die Wohnung des Grames,
weiß war’n von Kalk hier die Wände,
wohin du nächtens oft kamest,
sprachst mit mir, nahmst meine Hände.
Höher im Zimmer und weiter
waren die Fenster und Türen.
Bei mir und an meiner Seite
lebten da Vierbeiner, Tiere.
Dunkler als Nacht war das eine,
einmalig sanft war sein Wesen.
Klüger und lieber war keines,
das auf der Welt ich gesehen.
Neben ihm gab es ein gleiches,
zutraulich war es und fügsam,
hat mich besänftigt, erleichtert,
lautlos bei allem und schmiegsam.
Wo im grünen April blütenweiß die Kastanien lodern…
руWo im grünen April blütenweiß die Kastanien lodern,
wenn das Wetter noch lispelt, die Zunge fast reglos im Mund,
find ich Kinder vergessener Wiegen, im Holze schon modernd,
was sie reden, ist Hummelgesumme mir, tief aus dem Schlund.
Ein japanischer Kirschbaum vorm offenen Fenster, wie Rauch
seh kaum merklich im üppigen Laube ich grau es erschimmern.
Keins ist einsam auf Erden, so glaub ich, ein jedes gebraucht,
und mir alles verwandt: der Himmel, die Stille; die Stimmen.
Und ich höre ein helles und hohes, ein stetiges Klingen…
Zu vier Händen spieln Freude und Schmerz unterm Herzen
Choral.
Das ist deine Welt, Herr, meinen Dank für dein Werk lass mich
singen,
ihre Räume sind hoch wie als Kind mir die Stube einmal.
Deinen sündigen Kindern bleibt immer sie ja doch die gleiche,
stöhnt und quält sich das Fleisch doch beständig, seitdem es
geborn.
Sakrament sind mir altem Nomaden und heilig die Zeichen.
Dieser Hoffnung beraubt, bin gewiss ich für immer verlorn…
Die Taufe
ру1
In des Dreikönigsfestes Abendfrösten*
wird dick das Blut, die Träne, statt zu trösten,
gerinnt. Fabrikrauchs Wolken spärlich wallen,
trüb schimmert Licht durch Ritzen oder Spalten.
Die Welt erscheint in Schnee verpuppt, versponnen,
dünn sickert Dampf durch Fensterkitt. Versonnen
und schwerelos senken sich dunkle Träume
aufs grobe Fachwerk holzumbauter Räume
und sehen in den Mondscheinnächten, langen,
all das, was ihnen abends war entgangen.
2
Was hat im Hause man gespeist, getrunken?
Im Ofen brannte Glut, es wurd gesungen.
Der Hausherr, sauber vor dem Feste, nüchtern,
bat um Verzeihung seine Frau noch schüchtern.
Und sie umarmt ihn, greift nach seinen Händen,
gesenkten Blicks lauscht sie ihm bis zu Ende.
Im Fenster bebte die vereiste Scheibe,
sie spiegelte vom Raum nichts noch vom Weibe,
und war sie blind auch und von Reif beschlagen,
bezeugt’ sie doch das nächtliche Gelage..
3
Sie gingen dann zum Fluss, zum Uferrande,
die beiden, hielten eng sich aneinander.
(wie Pinguine laufen auf dem Eise)
und machten Feuer an aus trocknem Reisig.
Schlugen ein Eisloch dann. Und als vom Laube.
ein Wölkchen Rauch aufstieg, sahn sie’s als Taube.
Das Feuer loderte, es knackten Äste.
Nicht wölfisch schien es hier, fernab vom Feste,
vom lauten Feiern in den frohen Runden,
wie sie schon lange aus dem Dorf verschwunden.
4
Sie wischten von der Stirn den Schweiß, entkleidet.
Sprangen zugleich. Ins Nichts hinein, die beiden.
So plötzlich, spurlos sie vom Eis verschwanden,
als hätt’s sie nie gegeben miteinander.
Kein Plätschern mehr zum Abschied, auch kein Echo,
das ihnen nachriefe noch Hohngelächter.
Das Loch im Eis, die Filzstiefel verschwommen,
die Glutstückchen im Feuer still verglommen…
Die Sonne kam herauf, des Tages Wächter,
erhellte bald den Fluss, den Wald, die Dächer,
5
und es war klar und kalt, ward klar befunden:
ein Mann mit einer schönen und gesunden
und splitternackten, so wie er, Gefährtin;
sie liefen, keinem festen Ziel sich nähernd,
wie Adam, Eva – liefen miteinander
dahin, wo’s Flusses Bett nach links mäandert,
sie hielten dicht am Ufer sich und liefen
den hohen Beinen zu der großen Kiefern,
bis endlich sie auf Eiseszelte stießen —
auf grausig schöne, machtvollkommne Riesen.
Die Flöte
руEs sang die Flöte, und sie sang nur eins:
von Frösten, von der Heimat, die ich mein,
von täglich Brot sang sie, vom blauen Himmel,
auch von der Einsamkeit im Rausch des Weins.
Und Hoffnung war, und auch die Liebe war,
die Lampe überm Tisch schien noch so klar.
Ist alles gut, ich weiß es, sang die Flöte,
solang sie singen wollt, imstande war.
Und Winter war, und Schreckliches geschah,
ein Engel läutet’ Sturm… Die Zeit, die war,
ging nun zu End. Doch leise sang die Flöte.
Und nur für sie noch war die Seele da.
Begegnung
руDes Flusses grüne Strömung in der öden Bucht
spült Späne an und Federn— Unrat, wie wir’s nennen…
Dort steht dein Häuschen — wann weht es der Wind zu Bruch? —
mit einem einz’gen Fenster nur und schiefen Wänden.
Die Harzholzschwelle ist vor Feuchte schwarz und matt,
das Strohdach — denn an Schindeln fehlt’s — hat arg gelitten.
Ich murmle schon, dass alles eine Grenze hat,
in dem Moment kommst aus der Türe du geschritten.
Noch eh ich das Geschick beklag — mein Herz ist schwer,—
stehst vor dem Haus schon du mit deinem Schweigen lange…
Dich muss behüten, glaub ich, und bewahren Gott der Herr.
Ihm ist um sein Geschöpf, so sieht es aus, nicht bange.
Die Fichten und den Fluss, die Wolken, weit im Blick,
und dich dazu, dich, die aus Ton, aus Schaum geboren,
zu einem Teppich flicht es dieser Augenblick,
von der Natur für uns als ihr Geschenk erkoren.
Solange deines Schicksals Faden Gott der Herr
nicht löst aus dem Gewebe, wird er dich behüten.
Am Ufer sanft sich schaukelnd, strömt der Fluss einher,
zu dir und durch dich hin, an uns vorbei, vorüber…
Für Olga Borissowa
Abende gibt es…
руAbende gibt es, die
du hörst in leeren Mauern,
Schneeflaum fliegt weiß umher,
sinkt unhörbar zur Erde;
Abende, schlaflos, die
dich bodenlos durchschauern,
und einsam einmal mehr,
gebierst du murmelnd Verse.
Hitze
руEin Wagen holperte in Hitze
und Staub so schlecht und recht daher,
ein Alter hinterm Grauen auf dem Sitze,
dem Pferd hing ‘s Maul bis auf die Erd.
Die altersschwachen Räder knarrten,
der Zügel baumelte dazu;
der Alte, dösend unterm Barte,
war ungekämmt und ohne Schuh,
die Lippen schnalzten, und der Zügel
hing schlaff ihm in der matten Hand;
der Wagen rollte über Hügel,
wie sich und wo der Weg grad fand;
voll Heu und Stroh und unter Decken,
ging in der Mittagsglut die Fuhr
mit knarrnden Rädern zu ‘nem Flecken,
weit von zu Haus, auf fremder Flur,
so ging es über Stock und Steine;
ein Grasbüschel, ein Klumpen Lehm…
Der Alte war heut nicht alleine:
sein Enkel machte sich’s bequem
daneben auf dem Bock, er schluckte
genug an Staub dort, wo er saß,
halb eingenickt, und träge spuckte
ins Federgras…
Den Mittagsschlummer nimmer störte
der Hufschlag – den war man gewohnt;
doch war im Knarren, das man hörte,
ein fremder Ton,
als spielte zitternd eine Geige
hingebungsvoll
und unruhvoll auf einer Saite,
ein dunkles Grolln;
der Ton, anschwellend und vergehend,
blieb ihnen nah,
es lauschte, wie um zu verstehen,
der Enkel da;
er setzte ein am Boden leise,
beinah im Kraut,
stieg an in gleichmäßigen Kreisen
und wurde laut;
aufdringlich war er wie ein Regen
im frühen Licht,
wie Pforten, knarrende, bewegen
im Winde sich;
tief tönt’s, zum Herzen gehend,
es machte krank.
Der alte Kutscher aus Versehen
die Peitsche schwang…
Zu einem Punkt sich bleiern ballend,
so dumpf und schwer,
kreiste der Ton, ansteigend, fallend,
um das Gefährt,
macht Wangenkrampf, im Ohre liegend
mit seinem Takt…
Im Grunde war’s wie eine Fliege
und ihr Zickzack.
Zu unterbrechen das Gekreise,
der Alte schwenkt’ die Deichsel ein
und flüsterte zum Enkel leise:
,,Hab keine Angst, das ist Freund Hein.“
Der Zug
руSchaukeln des ratternden Zuges,
Schneewehn der Ebene stieben.
Stählern geschmeidigen Fluges
eilt er, vom Winde getrieben.
Fädchen flog aus, um zu wehen,
könnte verknoten sich kläglich.
Schwer ist’s, aus Sodom zu gehen,
ist sich nicht umzudrehn möglich?
Abschiedsgeruch noch, verspätet.
Tabakrauch zieht, nicht vom besten.
Unsichtbar tönt eine Flöte.
Schaukelnd der Zug eilt nach Westen.
Frösteln im warmen Abteile,
draußen mehr Schwanken als Stehen,
und ein Profil auf der Scheibe
scheint durch die Landschaft zu wehen.
Fahrt durch feudale Provinzen.
Vorstädte, freies Gelände…
Schlaflied für milchsatte Prinzen
summt überm Liegebankende.
Abschied zu nehmen: Verhängnis,
Zukunft ist nicht mehr zu wählen.
Und in der Reise Bedrängnis
tränenlos weint nun die Seele.
In der ergrau’nden Ebene Umarmung…
руIn der ergrau’nden Ebene Umarmung,
wo ein Jahr leben altern heißt um zwei,
findst du nicht Holz noch Ton noch Marmor,
aus denen ein Idol zu bilden sei.
Schaust du durchs Fenster, leere Augenhöhle,
in einem Januar, schneelos und kahl,
bist du’s zufrieden, dass dein Blick erwähle
sich einen einsamen Laternenpfahl.
Du, der an nichts Gefühle mehr verschwendet,
kommst bei dem Anblick schier um den Verstand,
weil du die Lampe, die Beleuchtung spendet,
für einen Stern hieltst. Und du lebst, hältst stand.
Die Weide
руNeigt meine Weide zum Wasser, zum Fluss
achtsam der Wind, oder was grünt die Zweige?
Ich reck zur Höhe mich, weil ich es muss.
Liebe macht, dass vor dem Tal ich mich neige.
Nass des Vergessens — ich trinke daran.
Eng sind verflochten die Arme und Zweige.
Mein langes Leben, ich nehme es an,
so wie sich Licht nimmt der Pflanzen Gedeihen.
Wie’s mir im Leben auch künftig ergeh,
Ich werd lebendig, ein grünender Baum sein.
Ob in der Ödnis, in Blüten, im Schnee —
wie meine Weide — am Ufer mein Glaube…
Für Vera Jewuschkina
Fragst mich, das Licht – woher?
руFragst mich, das Licht – woher?
Schüttelst das Haar aus der Stirne.
Antworten fällt mir schwer,
leg auf die Lippen den Finger.
Als ob ich blas und geig,
fingre ich so mir am Munde.
Laufe herum und schweig,
denke an dich nur im Grunde.
Denke tagaus, tagein
dran, dass mein armselig Leben
konnte ein andres, deins
so aus den Angeln heben.
Horch, ich flüstre zum Scherz:
„Hier, Kleiner, fang den Ball,
fang meiner Liebe Herz,
es schlägt für dich nun mal.
Tut es dir leid — so halt’s.
Weißt nicht, was tun — so spiele.
Binde ein Band an den Ball,
würd sonst zum Himmel fliegen.“
Unglück nicht zu uns dringt,
wird nicht entdecken uns, fassen.
Hörst du mein Herz, es singt,
denn ich hab Gott eingelassen.
In der Stille der Stadt
руIn der Stille der Stadt
(verglichen mit größeren, andren,
wo es Lärm und viel Trubel hat),
der bescheidenen, unscheinbaren,
von Panzern einst platt gefahren,
einer ganz normalen Gegend,
Herberg jedem, den’s gelüstet,
sitz ich,
der an Stille ist gelegen,
wie hinter Drahtverhau, gerüstet,
bin auf Alarm gefasst, einer Leuchtkugel Glühen,
mustre verstohlen den Weg, wo Mohnblumen blühen;
und ich sichte die Waffen,
all mein kostbares Arsenal:
die Hundertschaft starker Verben,
Vorsilben, siegreich nicht jedes Mal,
der Substantive Geheimreserve,
die resignierenden kleinen Adverbien…
Hinter mir — stiller Raum.
Um mich Artikel, drohend wie Minen.
Dazu die Vergleiche, o weh,
die zu nichts mich verpflichten und binden.
Doch sie sind so seit je,
weil sie überall kämpfen, sich schinden.
Straußberg 1999
Ob Winter, ob keiner… Erkältung hat eher…
руOb Winter, ob keiner… Erkältung hat eher
befallen die Pilze im Park und die Gräser.
Das Häuschen ist alt, das Geschirr reicht nicht mehr—
wir sammeln das Wasser in Schüsseln und Gläsern,
Hantieren mit Lappen, um Bücher zu retten,
der Regen, er rinnt in den Kragen indessen.
Das Dach hat ein Loch. Dass mehr Ärger wir hätten,
musst du in der Bahn deinen Schirm noch vergessen…
Das ist nun Dezember und Zeit für Gedanken
an bläuliche Kerzen und glühheißen Wein,
es gilt im Gedächtnis zu füllen die blanken
der Flecken: uns weihnachtet’s heuer am Rhein.
Für uns schon das vierte Mal Winter im Fremden,
mit Sohn und mit Hund und zu arm, uns zu schämen;
ein störrisches Eselchen, gähnend, im Hemde,
will lieber er husten als Saft einzunehmen.
So liegt er im Warmen, bekämpft das Gebrechen
mit Keksen und denkt: Diese närrischen Alten,
sind beide wohl nicht ganz bei Trost, denn sie zechen
im Pavillon drüben im Park, dort im Kalten…
Düsseldorf